Ausstellung & Vorträge: Der abenteuerliche Karl F. Kocmata (1890 – 1941)

Dichter □ Reporter □ Verleger □ Revolutionär □ Anarchist

16.12.2022 bis 14.01.2023

»Karl F. Kocmata«: Einige mögen den Namen schon gehört haben, vielen wird er nichts sagen. Doch dieser Arbeiterbub Kocmata hat nicht nur deutliche, sondern auch interessante und aktuelle Spuren in der Literatur und in den anarchistischen Bewegungen hinterlassen. Die Anarchistische Bibliothek Wien präsentiert mit seiner Ausstellung und mit dem Buch über den abenteuerlichen Anarchisten Karl F. Kocmata erstmals umfassend das breite Wirkungsfeld und die vielen Seiten dieses bemerkenswerten Kämpfers: Abenteurer, Anarchist, Demonstrant, Dichter, Essayist, Gerichtssaalreporter, Herausgeber, Journalist, Justizopfer, Kaffeehausliterat, Kunstförderer, Lyriker, Obdachloser, Publizist, Redakteur, Revolutionär, Rezitator, Schlitzohr, Sozialreporter, Vereinsfunktionär, Verleger, Zeitschriftengründer, Zeitungsherausgeber.

Hier gibt es noch viel zu Kocmata zu Endecken: Karl F. Kocmata

Programm:

 

 

 

»Ich fühle übermächtige Kraft in mir und ist mein Schlafkissen auch nur ein harter Stein: ich werde ihn in die Welt schleudern zur Vernichtung, zum Schrecken. Ich war ja nur Arbeiterbub, war nur Lehrbub und mein Meister begreift nicht, woher ich dies genommen. Ich […] fühle es, nur eines gibt es: Siegen oder untergehen. Einen Kompromiss mit dem Leben werde ich nicht schliessen und wenn mir in die schadhaften Sohlen meiner Stiefel Wasser dringt, dann wird’s der Staub des nächsten Tages machen, dass die Löcher ausgefüllt werden.« (Karl F. Kocmata im Juni 1912)

Der abenteuerliche Anarchist Karl F. Kocmata 1890 – 1941

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Wer war Karl F. Kocmata?

Karl Franz Kocmata wurde am 16. Jänner 1890 in Heiligenstadt (heute Wien 19.) geboren. Karl Kočmata, wie sein eigentlicher Name lautete, war stets stolz auf die böhmische Herkunft seiner Vorfahren. Er wuchs als siebentes und letztes Kind in einer typischen Proletarierfamilie auf, in ärmlichen Verhältnissen, und absolvierte 1907 eine Lehre zum Handelsangestellten. Ein Jahr zuvor beschloss der Sechzehnjährige, Schriftsteller zu werden. 1908 publizierte er seine ersten Artikel und seine erste Broschüre im eigenen Verlag, 1909 entstanden seine ersten Gedichte, 1911 gab er seine erste Zeitschrift (»Das Gesindel«) heraus, gründete 1912 seinen »Adria-Verlag« und veröffentlichte 1913 seine erste Zeitung (»Zukunft!«). Beruflich war er zunächst Hilfsarbeiter und unbezahlter Hilfsredakteur, weltanschaulich verankert im christlichsozialen Lager. Und als Dichter war er Anhänger von »Jung-Österreich«, das sich als die literarische Bewegung einer »neuen Generation« verstand.

In den Jahren 1910/1911 vollzog Karl F. Kocmata einen radikalen Wandel auf allen Ebenen. Als freier Journalist und Schriftsteller wandte er sich der anarchistischen Bewegung zu: »Ich fühle übermächtige Kraft in mir und ist mein Schlafkissen auch nur ein harter Stein: ich werde ihn in die Welt schleudern zur Vernichtung, zum Schrecken.« Seine Vorstellungen von Anarchismus wurden nun vor allem durch den von ihm Bewunderten und Freund Rudolf Großmann alias Pierre Ramus (1882–1942) geprägt, der seit 1907 die zahlenmäßig größte anarchistische Bewegung Österreichs aufbaute und organisierte. Doch auch Kocmata sammelte jetzt eine kleine Gruppe anarchistischer Arbeiterdichterinnen und Arbeiterdichter um sich und war 1913 Mitbegründer des »Vereins für Ethik und Kultur ›Die Mistgabel‹«. Doch dann wurde 1914 der Erste Weltkrieg begonnen. Kocmata wurde unter dem Verdacht der Geheimbündelei verhaftet und erst nach drei Monaten ohne Anklageerhebung freigelassen. Davon unbeeindruckt erhob der radikale Antimilitarist und Pazifist Kocmata in den Kriegsjahren immer wieder seine Stimme gegen den Krieg, gegen den Kapitalismus und seine Kriegsgewinnler, gegen die kriegsverherrlichenden Dichterinnen und Dichter, besonders aber gegen Politiker aller Lager. Vor allem denunzierte er die Christlichsozialen, denen die christliche Nächstenliebe abhandengekommen war, und die Sozialdemokratie, welche ihre Idee der internationalen Solidarität gegen Patriotismus und Nationalismus eingetauscht hatte. Und mitten im Krieg gründete Kocmata 1917 seine Zeitschrift »Ver!«, den »Verlag des Ver!« und die bemerkenswerte Schriftenreihe »Das neue Gedicht« als Plattform für eine politisch und künstlerisch radikale Bewegung der jungen Unbekannten.

1918 wurde Karl F. Kocmata zum Wiener Soldaten-, 1919 zum Arbeiterrat gewählt. In dieser revolutionären und nachrevolutionären Phase 1918 bis 1920 schuf er mit seiner Zeitung »Revolution!« 1919 ein wichtiges Sprachrohr der anarchistischen Bewegungen in Österreich, mit seinem »Arbeiterkampf« 1920 ein exponiert anarchosyndikalistisches Organ. 1919 war er Mitbegründer der »Vereinigung individualistischer Anarchisten«, die noch im selben Jahr in Kocmatas »Anarchisten-Vereinigung Revolution!« aufging, und 1920 gründete er die »Föderation revolutionärer Anarchisten und Syndikalisten«. Neben diesen kurzlebigen Organisationen schuf Kocmata die 1919 bis 1921 aktive »Freie Künstlervereinigung Ver!«, die ebenso von Anarchistinnen und Anarchisten geprägt war wie die von ihm protegierte »Neue Vereinigung für Malerei, Plastik, Graphik« von 1919. Und Kocmata hatte eine neue anarchistische Leitfigur: Erich Mühsam (1878–1934). Diesen hatte er zunächst als Dichter bewundert, seit dessen Rolle in der Münchner Räterepublik aber vor allem als Revolutionär.

1920 vollzog sich wieder ein grundlegender Wandel in Karl F. Kocmatas Leben. Kocmata, der 1914 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten war, heiratete standesamtlich seine langjährige Lebens- und Kampfgefährtin, die Schneiderin Leopoldine Schadek (1888–1977), Tochter einer Oberhebamme des Findelhauses und eines Fiakers. Vor allem aber wurde ihm 1920 sein Mandat als Arbeiterrat vom sozialdemokratisch dominierten Wiener Arbeiterrat aberkannt. Aber enttäuscht war er nicht nur von den »Erwürgern der Revolution, den Sozialreformern,« die nun das politische Leben in der jungen Republik Österreich dominierten. Enttäuscht war er auch von seinem einstigen Mentor Pierre Ramus, dem Kocmata vorwarf, die anarchistischen Bewegungen in Wien dominieren zu wollen. So kam es 1920 zum Bruch und zum Beginn eines Jahrzehnte währenden Kampfes zwischen Pierre Ramus und Karl F. Kocmata, der stets für ein gleichberechtigtes Nebeneinander anarchistischer Bewegungen und für ein Miteinander bei einzelnen Aktionen mit anderen sozialrevolutionären Bewegungen eingetreten war.

Karl F. Kocmata zog sich jetzt von den anarchistischen Bewegungen zurück und wurde 1921 gut bezahlter Redakteur bei der Zeitung »Der Abend«. Vorrangig versuchte sich Kocmata jetzt auf einem anderen Gebiet literarischen Schaffens: der Sozialreportage. Weitgehend noch auf Basis seiner anarchistischen Weltsicht widmete er sich nunmehr der Darstellung sozialer Missstände. Er berichtete über das Schicksal von Obdachlosen, über das Leben Arbeitsloser in menschenunwürdigen Baracken und Gebäuderuinen, über die herabgekommenen städtischen Asyle, über Gefängnisse, über den Kampf und die Not streikender Bergarbeiter, über Dienstmänner, Schneeschaufler und Kanalarbeiter, aber auch über die soziale Arroganz und demonstrative Langeweile von Parlamentariern während der Sitzungen im Parlament. Eine bemerkenswerte Rolle spielte Kocmata als Prozessbeobachter. Er recherchierte die sozialen Ursachen von Verbrechen, vor allem aber beobachtete er nicht nur die Verbrecherinnen und Verbrecher, sondern auch das höhnische und sensationsgierige Publikum im Gerichtssaal und die sich fadisierenden Richter, Staats- und Rechtsanwälte.

1925 fand seine erfolgreiche Karriere als Reporter ein überraschendes Ende. Kocmata wurde zur Kündigung genötigt, weil er Geld von Wohnungssuchenden angenommen hatte. Dabei wurde ihm unterstellt, gute Beziehungen zum Wiener Wohnungsamt nur vorgespiegelt zu haben. Ersteres gestand Kocmata ein, doch gegen die Vorspiegelung wehrte er sich zu Recht. Nun begann der über ein Jahrzehnt währende Kampf gegen den Gründer und Herausgeber der Zeitung »Der Abend« Carl Colbert (1855–1929) und dessen Sohn Ernst Colbert (1891–1943). Sein Ruf als untadeliger Journalist war ruiniert und Kocmata bekam beruflich kein Bein mehr auf den Boden. Zunächst gründete er noch kurzlebige Zeitungen: »Das Gesindel« 1925, »Der Anti-Abend« 1926 und »Wiener Schlaglichter« 1927. Finanziell gescheitert, ließ sich Kocmata nun mit obskuren Persönlichkeiten der Presse, teils sogar mit bekannten Nationalsozialisten ein, die später allesamt wegen Erpressung verurteilt wurden. 1932 gab Kocmata ein letztes anarchistisches Lebenszeichen von sich, als er mit zwei anderen Anarchisten die »Wiener Extra-Ausgabe« herausgab, eine Nummer nur, die ausschließlich dem Kampf gegen Pierre Ramus gewidmet war. 1933 begannen die Jahre der Obdachlosigkeit des Ehepaares Leopoldine und Karl F. Kocmata. Billige Quartiere und Hotel genannte Absteigen wechselten mit Obdachlosigkeit. Und 1938 kam der nunmehr amtlich als Gelegenheitsarbeiter geführte Kocmata in eine Baracke, wo er mit Gestrandeten und Verfolgten des Nazi-Regimes lebte. Im November 1941 wurde Karl F. Kocmata halb erfroren und verhungert auf einer Parkbank aufgefunden und in das Krankenhaus Lainz eingeliefert, wo er wenige Tage später, am 29. November 1941, im zweiundfünfzigsten Lebensjahr an einer Lungenentzündung verstarb.

Was blieb von Karl F. Kocmata?

Ein expressiv-sensibler Dichter, von dem so manches seiner Lyrik und Prosa heute noch lesenswert ist.

Ein journalistischer Feuerkopf, der – teils in direkter und derber Sprache – die Ereignisse seiner Zeit mit bemerkenswerter Scharfsinnigkeit analysierte.

Ein heute unbeachteter Autor von Sozialreportagen, der mit Eindringlichkeit das hautnah erlebte Elend und die Missstände seiner Zeit schilderte.

Ein heute vergessener Förderer der radikalen Literatur und bildenden Kunst, der sich um junge Talente bemühte, von denen während des Nationalsozialismus viele ins Exil vertrieben, viele auch Opfer des Holocaust wurden.

Ein proletarischer Autodidakt, den beispielhaft Teile der Wiener Journaille in die Obdachlosigkeit und das Elend stürzten.

Vor allem aber ein abenteuerlicher Anarchist, der die anarchistischen Bewegungen in Österreich um zahlreiche Facetten bereicherte.

 

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