Doris Ensinger: Einige Anmerkungen zum Katalonien-Konflikt

Einige Anmerkungen zum Katalonien-Konflikt

Auf die Frage, wie er zum Katalonien-Konflikt stehe, antwortete der spanische Sprachwissenschaftler Francisco Rico: „Darüber kann ich mich nur lustig machen.“ Ja, man könnte die Farce oder den Zirkus, oder wie man das nennen möchte, sarkastisch abtun, wenn nicht Millionen von den Vorfällen in Katalonien betroffen wären. Der Prozess zur Unabhängigkeit führte nämlich nicht ins verheißene Paradies, sondern das Land eher an den Abgrund, und deshalb soll der Versuch gemacht werden, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Nach den Worten des Schriftstellers Javier Cercas handelt es sich bei diesem Prozess zur Unabhängigkeit um einen „Cocktail aus einem historischen Victimismus (der ständigen Opferrolle), aus nationalistischer Überheblichkeit und wirtschaftlichem Egoismus, angereichert mit Fremdenfeindlichkeit. Das ist unvereinbar mit den Idealen der Einheit Europas“.

Der Ursprung allen Übels ist für die Unabhängigkeitsbefürworter, die indepes, die Niederlage Kataloniens im Spanischen Erbfolgekrieg 1714. Es wurde damals nicht nur militärisch besiegt, sondern verlor seine administrative Eigenständigkeit, die es als Teil des Königreichs Aragón bewahrt hatte. Die Niederlage galt als nationale Schande und Demütigung, und nun, nach dreihundert Jahren, müssen die nationale Ehre und der Stolz der Katalanen endlich wieder zurückgewonnen werden (eine Parallele gab es in Deutschland, wo „die Schmach und nationale Demütigung von Versailles“ den nationalistischen und völkischen Parteien Anfang der dreißiger Jahre viele Wähler zuführte, und alle wissen, wie das schließlich endete). Der Konflikt schwelte über die Jahrzehnte und Jahrhunderte dahin, flammte von Zeit zu Zeit auch wieder auf. Im 19. Jahrhundert gab es die sogenannte Renaixença, als sich viele Katalanen durch das Wiederentdecken der katalanischen Kultur und Sprache ihrer Wurzeln bewusst wurden. Aber es ist damals auch die Zeit der Industrialisierung, die viele Arbeiter aus anderen Landesteilen in das aufstrebende Katalonien zog, und so konnte bald nicht mehr von einer homogenen autochtonen Bevölkerung gesprochen werden. Heute ist sie, wie in vielen Ländern Europas, multikulturell. 1932, in der Zweiten Spanischen Republik, erhielt Katalonien mit dem Estatut de Nuria ein Autonomie-Statut, durch das es zum ersten Mal ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung bekam. Das faschistische Regime unter Franco mit seinem zentralistischen, diktatorischen Staatsgebilde unterdrückte selbstverständlich jegliche regionale Eigenständigkeit und untersagte insbesondere den Basken und Katalanen jedwede öffentliche Manifestation ihrer Kultur und den Gebrauch ihrer Sprache. Nach Francos Tod wurden mit der Bildung demokratischer Institutionen auch die 17 sogenannten autonomen Regionen gebildet, die über eine gewisse Autonomie in bestimmten Bereichen verfügen, wobei Katalonien die weitreichendste Autonomie besitzt (Kompetenzen im Bereich der Justiz, Polizei, des Gesundheits- und Erziehungswesens). Puigdemont führt sich wie der Präsident einer Republik auf und meint, auf Augenhöhe mit „Madrid“ verhandeln zu können, tatsächlich hat er im Staatsgebilde eine untergeordnete Stellung, vergleichbar mit einem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes.

Während unter der Regentschaft von Jordi Pujol mit seiner nationalkonservativen Partei Convergéncia (die sowohl für Felipe González als auch für José María Aznar als Mehrheitsbeschafferin im spanischen Parlament fungierte und so Vorteile für Katalonien ausgehandelt werden konnten), eher von mehr Autonomie die Rede war, köchelte das Streben nach Unabhängigkeit auf kleiner Flamme und insgeheim vor sich hin. 1990 wurde das Programm publik, mit dem die Gesellschaft durch die Verbreitung nationalistischer Ideen vornehmlich in Bildungseinrichtungen und in den Medien katalanisiert werden sollte, und auch die beiden Gewerkschaften Comisiones Obreras und UGT sollen von Separatisten unterwandert worden sein. Der Konflikt entflammte dann vornehmlich an zwei Ereignissen, bzw. wurde durch diese genährt. Zum einen wurde von Mariano Rajoy 2007, damals noch Oppositionsführer, Beschwerde beim Verfassungsgericht gegen das überarbeitete Estatut d’Autonomía eingereicht, das sowohl vom spanischen und katalanischen Parlament als auch von der katalanischen Bevölkerung in einer Volksabstimmung angenommen worden war. Das Verfassungsgericht kassierte in seinem Urteil von 2010 bestimmte Artikel, u.a. die Definition Kataloniens als einer Nation. Zum anderen wurde die sogenannte Finanzkrise ab 2008 vom damaligen Ministerpräsidenten der katalanischen Regierung, Artur Mas, zum Anlass genommen, die Ängste der Mittelschicht vor einem finanziellen Abstieg zu schüren. Es wurde die Lüge verbreitet, dass es Katalonien so schlecht ginge, weil „Madrid“ und insbesondere die faulen Andalusier die Katalanen ausplünderten. Zum weiteren wurde schließlich der ganze Korruptionssumpf der Partei öffentlich, wovon allerdings schon einige seit spätestens dem Beginn der 90er Jahre Kenntnis hatten. Um von den eigenen Missständen und Delikten abzulenken, musste ein Sündenbock für das ganze Desaster herhalten, und dafür eigneten sich hervorragend die „Faschos“ in Madrid.

Die Propagandatrommel wurde fortan gerührt, wobei die zwei nationalistischen Organisationen, Omnium Cultural und die im April 2011 gegründete Assamblea Nacional Catalana, den in Gang gesetzten Prozess in die Unabhängigkeit tatkräftig unterstützten, und zwar mit einem Gemisch aus (nicht einhaltbaren) Versprechungen, Manipulationen und Lügen, Verdrehen geschichtlicher Tatsachen, dem Schüren irrationaler Emotionen, Hetze gegen alle Andersdenkenden. Das Streben nach Unabhängigkeit wurde zur Glaubenssache und zum allein seligmachenden Ziel. Seit 2012 wird jeder 11. September, der Nationalfeiertag der Katalanen (der an die Niederlage 1714 erinnert) mit Massendemonstrationen, einschließlich Fackelzug und Flaggengedöns, gefeiert. Die Zahl der Separatisten stieg sprunghaft an, aber weder bei den Parlamentswahlen im September 2015 noch bei den von Rajoy angeordneten Wahlen im Dezember 2017 stimmte eine Mehrheit der Wähler für die Unabhängigkeit. Es waren jeweils 47 % der Wahlberechtigten, durch das antidemokratische Wahlgesetz kommt jedoch die knappe Mehrheit im Parlament zustande. Für die drei, die Unabhängigkeit anstrebenden Parteien (PDeCat, ERC und CUP, die basisdemokratische Elemente vertritt) gab und gibt es nur noch ein einziges Ziel und ein einziges Wahlkampfthema: die Abspaltung von Spanien. Ein Sozialprogramm stand nicht mehr zur Debatte. Und das wirft die Frage auf, welche oder was für eine Republik streben diese Parteien eigentlich an?

Viel war darüber zu lesen, dass die „katalanische Republik“ Freiheit und soziale Gerechtigkeit bringen würde, zu keinem Zeitpunkt wurde jedoch ein klares Konzept oder Programm vorgelegt. Die Devise war, alles würde sich von selbst lösen, sobald einmal die Unabhängigkeit erklärt wäre. Es ging nur noch um den „Willen des Volkes“ und das „derecho a decidir“, d.h. das Recht über die Urne über die angestrebte Republik entscheiden zu können. Und so wurde das in der spanischen Verfassung nicht vorgesehene Referendum auf den 1. Oktober festgesetzt – ein klarer Verfassungsbruch. Außerdem wurden zwei jeglicher demokratischen Verfassung Hohn spottende Gesetze am 6. und 7. September letzten Jahres in völlig antidemokratischer Verfahrensweise durch das Parlament gepeitscht, was für viele einem Staatsstreich gleichkam – der nächste Verfassungsbruch. Jordi Sánchez, der Vorsitzende der ANC, beendete seine Brandrede am letzten 11. September übrigens mit der Forderung, gegenüber den Gerichten und Gesetzen, die diese Abstimmung zu verhindern suchten, den Gehorsam zu verweigern, zu rebellieren, und erklärte, dass die Entscheidungen der spanischen Gerichte für die Katalanen nicht mehr bindend seien. Trotz Einspruch und Warnung vor dem verfassungswidrigen Vorgehen durch die Justitiare des Parlaments hielten die Separatisten an ihrem Vorhaben fest. Die Rechte der Opposition wurden weiter negiert und mit Füßen getreten, Minderheiten nicht respektiert – kurzum, bei der vorgesehenen Republik handelt es sich um ein reaktionäres nationalistisches, Andersdenkende ausschließendes Projekt, dessen Pfeiler nicht Solidarität und Pluralität, Grundelemente der Demokratie, sind.

In einer freien Gesellschaft sollte das Entscheidungsrecht allerdings nicht auf einen Urnengang beschränkt sein, die Bevölkerung sollte über lebenswichtige Aspekte ebenfalls mitentscheiden können, z.B. im Gesundheitswesen (den Prozess der Privatisierung leitete zwischen 2010 und 2015 der katalanische Gesundheitsminister im Rahmen der von Artur Mas angeordneten Austeritätspolitik ein. Allein in einem öffentlichen Krankenhaus in Barcelona wurden damals hundert Ärzte entlassen und die Bettenzahl verringert). Im Bildungsbereich gibt es mannigfaltige Aspekte, die nicht nur vom Ministerium beschlossen werden sollten, z.B. bei der Festsetzung von Studiengebühren und -inhalten sollten Studierende und Lehrkräfte ein Mitentscheidungsrecht haben. Der Protest einiger Studierender der Universitat Autònoma de Barcelona gegen eine Erhöhung der Studiengebühren im Jahr 2013 wurde mit der Initiierung von Prozessen beantwortet, in denen exorbitante Strafen (bis zu 14 Jahre Haft) gefordert werden. Und natürlich gibt es viele weitere Bereiche, in denen die Bevölkerung ein Mitspracherecht haben sollte, weil sie unmittelbar betroffen ist, so das extrem vernachlässigte Thema Klimawandel und Umweltschutz, das immer größer werdende Wohnungsproblem, der Bereich der Kultur …

Bei der vorgesehenen Republik ging es also lediglich um die Gründung eines neuen Staates, „um den Kampf für den Wechsel von einer Abhängigkeit in eine andere, um den Konflikt zwischen Eliten, um den irrationalen Glauben an die Idee einer Nation“ – was aus anarchistisch-libertärer Sicht alles abzulehnen ist. Wir wissen seit langem, dass der Staat niemals die Freiheit seiner Bürger gefördert hat, sondern immer dazu diente, die Interessen weniger durchzusetzen, um die Bevölkerung zu versklaven (was im Zeitalter der Globalisierung deutlicher denn je geworden ist), Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen (heutzutage den Niedriglohnsektor gegen die Flüchtlinge) und sich für den Machterhalt immer der Repression bediente. Denn der Staat ist die Quelle aller Unterdrückung, wofür er nicht nur über einen gut ausgerüsteten Polizeiapparat verfügt, sondern mit dem Einsatz der neuen Technologien eine vielfältige Überwachung und umfassende Kontrolle der Bürger und Bürgerinnen sicherstellt und auch mittels einer immer repressiveren Gesetzgebung den Widerstand der Bevölkerung in Schach zu halten sucht.

In einem Konflikt gibt es jedoch immer zwei Parteien, und so muss über den Gegenpart der Separatisten gesprochen werden, denn selbstverständlich haben nicht nur diese und Puigdemont dafür gesorgt, dass dieser Prozess eskalierte und in einer Sackgasse landete. Auf der anderen Seite stehen Rajoy und seine Volkspartei (PP), und da ist weit und breit kein Politiker auszumachen, der noch über die Fähigkeit und den notwendigen gesunden Menschenverstand für eine Beilegung des Konflikts verfügt. Meiner Meinung nach stehen sich zwei unerbittliche Kampfhähne gegenüber, die mit aller Macht den Feind besiegen wollen: auf der einen Seite ein Provinzbürgermeister, der Anfang 2016 unvermutet zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, als die Abgeordneten der CUP Artur Mas, dem Korrupten, ihre Stimme verweigerten. Auf der anderen Seite führt ein ehemaliger Finanzinspektor die Regierung an, der von Aznar zu dessen Nachfolger in der Partei ernannt wurde und dem so gut wie alle Fähigkeiten zur Regierung eines Landes abgehen. Von Angela Merkel hat er sich das Aussitzen abgeschaut, Abwarten ist seine Devise. Vorausschau, Weitsicht und diplomatisches Geschick – essentielle Eigenschaften eines Staatsmannes – gehen ihm ab. Stur wie ein Ochse hält er an seiner Politik fest. Zwar hat er Versprechen im Hinblick auf einen Fiskalpakt mit Katalonien gemacht, diese aber nicht eingehalten. Nicht nachgeben ist sein Motto, es geht allein um die Durchsetzung des Stärkeren, in diesem Fall natürlich der Regierung in Madrid. Mit seiner Passivität und dem Nichteingreifen in das verfassungswidrige Vorgehen in Katalonien hat er entscheidend zur Eskalation beigetragen, die schließlich zur Durchführung des Referendums am 1. Oktober und der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit sowie der Ausrufung der katalanischen Republik als einem souveränen und unabhängigen Staat am 27. Oktober führte. Die Antwort war die Inkraftsetzung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, weshalb Katalonien seither von Madrid aus zwangsverwaltet wird. Puigdemont, der noch bereit gewesen war, auf Vermittlung einiger Politiker hin, wie dem baskischen Ministerpräsidenten, Neuwahlen auszurufen, hatte dem Druck der Straße, die ihn einen Verräter nannten, nachgegeben. Wie bekannt, machte er sich dann bei Nacht und Nebel vom Acker, um in Brüssel sein „Exil“ anzutreten.

Für die PP ist die Verfassung von 1978 in Stein gemeißelt. Grundrechte und -freiheiten sollten selbstverständlich unantastbar sein, nach mehreren Jahrzehnten kann jedoch eine Modifizierung bestimmter Artikel nötig werden, vor allem, wenn eine Mehrheit des Volkes das verlangt. Es sind ja nicht nur die Katalanen, die sich gegen die gegenwärtige Verfassungsordnung aufbäumen, auch in anderen Landesteilen gärt es und auch dort wird mehr Autonomie verlangt. 2014, als Juan Carlos I. abdankte, weil er als Staatsoberhaupt untragbar geworden war, wäre der Moment gewesen, über eine Überarbeitung der spanischen Verfassung und die Beibehaltung oder Abschaffung der Monarchie nachzudenken. Aber da musste – übrigens über eine Änderung der Verfassung, denn eine Abdankung des Monarchen war darin gar nicht vorgesehen – die Monarchie über die schnelle Nachfolge mit Felipe VI. gerettet werden. Dieser ist übrigens seiner Rolle als Staatsoberhaupt in der ersten großen Krise nicht gerecht geworden, denn anstatt mäßigend einzugreifen und im Konflikt zu vermitteln zu versuchen – was seine Aufgabe gewesen wäre –, hat er diesen mit seiner einseitig für die Staatsräson ergreifenden Rede vom 3. Oktober (zwei Tage nach dem Referendum und am Abend des Generalstreiks in Katalonien) erst richtig angeheizt. Dass er mit den Separatisten nicht gerade freundlich umsprang, lässt sich vermutlich mit dem Umstand erklären, dass diese ihn verschiedentlich auspfiffen und ihre Verachtung ihm gegenüber zum Ausdruck brachten, insbesondere nach den Attentaten in Barcelona und Cambrils, als sie die Demonstration für die Opfer zum Anlass nahmen, um dem Staatsoberhaupt und den Vertretern der spanischen Regierung mitzuteilen, dass sie in Katalonien nichts zu suchen hätten. Es ging ihnen nicht darum, Empathie gegenüber den Opfern zu zeigen.

Der Konflikt ist inzwischen so festgefahren, dass eine Lösung in weite Ferne gerückt ist. Es müssen erst die negativen wirtschaftlichen Folgen dieses Sezessionsprozesses für alle sichtbar werden, damit einige mit Vernunft ausgestattete Männer oder Frauen einen Ausweg aus der Sackgasse aufzeigen. Mit den gegenwärtigen Akteuren ist dies nicht möglich, auch Gefängnisstrafen werden den Konflikt nicht beenden, sondern im Gegenteil verschärfen. Deshalb müssten alle Beteiligten zurücktreten bzw. ihres Amtes enthoben werden, damit sie nicht weiterhin dem Volk schaden können, dessen Wohl zu dienen sie ja in ihrem Amtseid versprachen. Aber auch diese Einsicht, dass sie alle zusammen mit ihrer Politik eklatant gescheitert sind, ist von ihnen nicht zu erwarten. Wer einmal an der Macht ist, gibt sie so schnell nicht wieder aus der Hand. Dass es in vielen deutschen Medien so einen Hype um Puigdemont gibt und diese sich für die katalanische Sache einsetzen, ist mir unbegreiflich, denn sie erheben einen vielfachen Gesetzesbrecher auf ein Podest und erklären ihn zum Helden. Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens in einem Urteil eine Volksabstimmung über die Abspaltung Bayerns für verfassungswidrig erklärt. Warum wird dasselbe Vorgehen in Spanien anders bewertet? Das Problem ist nun juristischen Spitzfindigkeiten überlassen, aber die werden auch keine Lösung bringen. Und so können wir davon ausgehen, dass noch viel zu diesem Thema geschrieben werden wird.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Wer das wohl sein wird?!

Weiterführende Lektüre:

Gerald Brennan, The Spanish Labyrinth / Die Geschichte Spaniens. Über die sozialen und politischen Hintergründe des Spanischen Bürgerkriegs, Berlin 1978.

George Orwell: Homage to Catalonia / Mein Katalonien)

Doris Ensinger, Quer denken, gerade leben – Erinnerungen an mein Leben, verlag barrikade, 2015

Die Zeit online, insbesondere Artikel von Ulrich Ladurner, Fernando Vallespin.

Doris Ensinger, April 2018

 

Carles Puigdemont: Ein völkischer Populist

Die juristische Bewertung im Fall des Katalanen steht noch aus. Die politische ist eindeutig: Puigdemonts Projekt steht der europäischen Einigung diametral entgegen.

Ein Kommentar von Ulrich Ladurner

6. April 2018

Das Oberlandesgericht Schleswig hat den katalanischen Separatisten Carles Puigdemont unter Auflagen aus der Haft entlassen. Das Urteil ist gut begründet und sehr respektabel. Es ist außerdem begrüßenswert, weil es indirekt daran erinnert, dass der Konflikt zwischen den Separatisten und Spanien im Kern politischer Natur ist. Mit Mitteln der Justiz wird man diesen Konflikt nicht lösen können. Diese Botschaft ist hoffentlich in Madrid angekommen.

Die katalanischen Separatisten nun feiern die Entscheidung eines deutschen Gerichtes wie den Freispruch ihres Helden, der in ihren Augen ein politisch Verfolgter ist. Doch daran ist alles falsch. Puigdemont ist weder freigesprochen, noch ist er ein Held und er ist auch kein politisch Verfolgter.

Das Oberlandesgericht Schleswig hielt die Anklage auf „Rebellion“, welche die spanische Justiz gegen Puigdemont erhoben hat, für unzulässig; den Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder allerdings hält sie nach ihrem bisherigen Erkenntnisstand für glaubwürdig und fordert nun weitere Unterlagen aus Spanien an. Man wird die Entscheidung abwarten müssen.

Puigdemont ist kein Märtyrer

Für eine politische Beurteilung Puigdemonts muss man allerdings nicht warten. Der Mann ist ein völkischer Populist. Er nimmt es sich heraus zu bestimmen, wer ein guter Katalane ist und wer nicht. Gut ist der Katalane, der für die Abtrennung von Spanien ist, die andern sind schlechte Katalanen. Wenn sie denn überhaupt welche sind. Puigdemonts Projekt steht der europäischen Einigung diametral entgegen – er ist ein Spalter und kein Versöhner.

Puigdemont und die Seinen haben nicht nur die spanische Verfassung gebrochen, sie haben gegen das katalanische Autonomiestatut verstoßen und die Katalanen gegeneinander aufgebracht. Das ist kein
Zufall, sondern gewollt. Der katalanische Separatismus nach Art von Puigdemont baut auf permanenter Provokation und Verschärfung des Konfliktes. Auch seine Flucht aus Spanien ist Teil einer Eskalationsstrategie.

Quer durch Europa reisend tat er das, was er in Barcelona auch tat: Sich als Märtyrer eines angeblich unterdrückten Volkes inszenieren. Doch weder ist Puigdemont ein Märtyrer, noch sind die Katalanen ein
unterdrücktes Volk.

Was hat Puigdemont denn als Präsident geleistet?

Die spanische Zentralregierung ist oft genug auf die Eskalationsstrategie der Separatisten hereingefallen. Dem Fanatismus von Puigdemont setzt sie nicht politische Fantasie, sondern Starrsinn entgegen.

Nun war es richtig, dass die Regierung in Madrid den Separatisten im Herbst vergangenen Jahres die Grenzen aufzeigte. Keine europäische Regierung könnte es tolerieren, dass die Verfassung so eklatant verletzt wird.

Doch jetzt wäre es an der Zeit, den Konflikt wieder zu politisieren – das heißt: nach den konkreten Dingen zu fragen und nicht nach Hirngespinsten. Man könnte zum Beispiel die Frage stellen, was denn Carles Puigdemont in seiner Zeit als Präsident und nach seiner Absetzung für Katalonien geleistet hat.

Weder hat er einen Arbeitsplatz geschaffen, noch hat er dafür gesorgt, dass die Warteschlangen in den überfüllten Krankenhäusern kleiner werden, und er hat auch keinen Beitrag zur Aufarbeitung verschiedener Korruptionsaffären seiner Vorgänger geleistet. Um es kurz zu sagen: Er hat nichts getan, was man gutes Regieren nennen könnte.

 

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