Rezension: Albert Camus – Journalist in der Résistance Bd I & II

albert_camusAlbert CamusJournalist in der Résistance Bd I & II

Eine Rezension von Andreas Gautsch, Institut für Anarchismusforschung, Februar 2015

Nach den „Libertären Schriften“ von Albert Camus bringt der Laika Verlag nun zwei weitere Bände zu der journalistischen Arbeit von Albert Camus heraus. Die Bände 50 + 51 der Laika Theorie Reihe sind die von Jacqueline Lévi-Valensi,

Mitbegründerin der Albert Camus Gesellschaft in Frankreich, herausgegebenen Bände „Albert Camus – Journalist in der Résistance“. Übersetzt wurden sie vom Anarchisten und Camus-Kenner Lou Marin.

Im ersten Band finden wir eine kurze Einführung in die Geschichte der Zeitung Combat bei der Camus von 1944 bis 1947 als Chefredakteur arbeitete und 138 Leitartikel sowie 27 weitere Artikel verfasste. Die in diesem Band aufgenommenen Artikel sind in chronologischer Abfolge angeordnet und mit einer kurzen Themenangabe versehen. Der erste Band reicht zeitlich bis zum Kriegsende. Der Zweite beinhaltet die Nachkriegsperiode, inklusive der Artikelreihe „Weder Opfer noch Henker“, die im Combat zum ersten Mal veröffentlicht und in Folge mehrfach als eigenständiger Essay verlegt wurde.

Da viele Artikel nicht namentlich gekennzeichnet wurden, was bei einer Widerstandszeitung nicht verwundert, ist die Zuordnung der Autor_innenschaft nicht immer einfach. So finden sich in diesen Bänden Artikel, die klar Camus zugeordnet werden können, aber auch jene, wo es bloß Indizien dafür gibt. Die Herausgeberin gibt bei diesen Texten einen begründbaren Wahrscheinlichkeitsgrad einer Autorenschaft Camus an.

Um sich gut in dem recht spezifischen Themenkreis zurechtzufinden, sind die meisten Artikel mit hilfreichen Anmerkungen versehen und im Anhang befindet sich sowohl ein Themen- als auch Personenindex.

Geschichte der Combat

Im Dezember 1941 schlossen sich zwei französische Widerstandsgruppen zu einer gemeinsamen Organisation zusammen. Sie gaben sich den Namen „Combat“ (dt. Kampf) und gründeten eine gemeinsame gleichnamige Zeitung. In Anlehnung an Hitlers „Mein Kampf“ wollten sie sich ursprünglich „notre comba“ (unser Kampf) nennen, also das Kollektivprinzip im Gegensatz zu dem Führerprinzip betonen. Die Widerstandsaktionen der Gruppe, zu der auch die Zeitungsherausgabe zählte, erfolgte natürlich im Untergrund. Einer ihrer ersten Aufrufe klang folgendermaßen:

Die Zeitung Combat ruft die Franzosen zum Kampf. Sie appelliert an sie, sich zu vereinigen, um die Gemütslage der Unterordnung zu überwinden und sich auf den Ruf zu den Waffen vorzubereiten.“ (Band I, S.18)

Die Zeitung Combat war eine der sechs maßgebenden Zeitungen innerhalb der breit gefächerten Résistance-Bewegung und sprach sich vehement für die Einheit der antifaschistischen Bewegung aus. Ab 1942 postulierten sie die Kurzformel: „Ein einziger Chef: de Gaulle. Ein einziger Kampf: für unsere Freiheit (S. 20)

Camus selbst kam während seines Krankenaufenthalts im Chambon-sur-Lignon über den Kontakt mit Pierre und Marianne Fayol zur Widerstandsbewegung und im Herbst 1943 schloss er sich der Gruppe Combat an. Die Arbeit im Untergrund war, wie sich jeder Mensch vorstellen kann, äußerst gefährlich. Laufend kam es zu Verhaftungen, so wurde der Generalsekretär von Combat Jean-Guy Bernard im Jänner 1944 verhaftet und schließlich in Auschwitz getötet. Im Juni 1944 flog die Druckerei in Lyon auf und wurde zerstört. Die Zeitung wurde zwar in Paris geschrieben, jedoch in Lyon gedruckt. Bei dieser Aktion kam André Bollier, der sich um Druck und Verteilung kümmerte, ums Leben.

In dieser Phase kam bei vielen Combataktivist_innen als auch bei Camus Zweifel auf. „Wir wissen nicht mehr, warum wir den Kampf fortsetzen. Werden die Alliierten nach all diesen Verhaftungen überhaupt noch Überlebende der Réstistance finden, wenn sie sich endlich dafür entscheiden, zu landen? Es ist ein Rennen gegen die Zeit. Wir machen nur noch für die Ehre weiter, ohne jede Perspektive, ohne überhaupt eine Perspektive sehen zu wollen.“ (S. 28) Im August 1944 kam es endlich zur lang ersehnten Befreiung von Paris. In einem Camus zuordenbaren Leitartikel vom 21. August 1944 ist jedoch nicht nur von Erleichterung und Freude zu lesen, sondern wie die beiden Titel „Der Kampf geht weiter“ (S. 103) und „Von der Résistance zur Revolution“ (S. 104) es erahnen lassen, werden bereits die kommenden politischen Aufgaben ins Auge gefasst.

Kurzer Exkurs über die beiden Artikel: „Der Kampf geht weiter“ und „Von der Résistance zur Revolution“

Ersterer behandelt die schlichte Feststellung, dass mit dem Kampf für die militärische Befreiung von den deutschen Besatzungstruppen der Kampf nicht aufhören kann.

Es wäre nicht genug, einfach den Anschein der Freiheit zurückerobern mit den sich das Frankreich von 1939 begnügen musste. Und wir werden nur einen minimalen Teil unserer Aufgabe erfüllt haben, wenn sich die französische Republik von morgen wie die vormalige Dritte Republik unter einer direkten Abhängigkeit des Geldes wiederfindet.“ (S. 103)

Im Artikel von der Résistance zur Revolution aus der selben Ausgabe, wird es noch deutlicher formuliert, wohin die Reise gehen sollte. Denn nach der Phase der Résistance von 1940-1944 soll nach der Befreiung die Phase der Revolution folgen. Camus bezeichnet dies als den Übergang vom Glauben zur Politik, wobei er hinzufügt: „Wir glauben weder an fertige Prinzipien noch an theoretische Konstrukte“, gleichwohl, eines ist für Camus sicher, „dass jede Politik, die sich von der Arbeiterklasse trennt, vergeben sein wird. Frankreich wird morgen das sein, was seine Arbeiterklasse sein wird.“ (S. 105)

Die Revolution, die hier propagiert wird, basiert auf einem republikanischen Prinzip und auf einer Verfassung, in der Freiheit und Gerechtigkeit zentrale Bestandteile sind.

Etwas konkreter wurde Camus am 1. Oktober 1944. Auf die an Combat gestellte Frage, wie sie sich eine Gesellschaft nach dem Krieg vorstellen, gab er in einem Leitartikel folgende Antwort:

Wir erhoffen uns die Versöhnung der Gerechtigkeit mit der Freiheit. Scheinbar ist das nicht klar genug. Wir meinen also mit Gerechtigkeit die Vorstellung eines Sozialstaates, in dem jedes Individuum zu Beginn all seine Chancen erhält und wo die Mehrheit eines Landes nicht von einer Minderheit der Privilegierten unter unwürdigen Lebensbedingungen gehalten wird. Und wir meinen mit Freiheit die Vorstellung eines politischen Klimas, in dem die menschliche Person respektiert wird, sowohl in dem, was ist, als auch in dem, wie sie sich darstellt“. Die Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit, „kollektivistische Ökonomie und liberale Politik“. Weder das eine noch das andere darf auf den Weg einer Revolution verloren gehen, oder wie es Camus in dem Artikel weiter formuliert, „dass die politische Revolution nicht auf eine moralische Revolution verzichten kann“. (S. 166/167)

Combat nach der Befreiung

Im befreiten Paris und später im vollständig befreiten Frankreich begann für die Résistance Zeitung eine neue schwierige Phase. Es fehlte an Papier, die Druckereiarbeiter_innen streikten und vor allem fehlte es an Geld. Um seine Unabhängigkeit und auch seinen radikalen Ansatz zu bewahren, entschied sich Combat nicht parteipolitisch vereinnahmen zu lassen – auch nicht von den Kommunisten, auch wenn es materiell und finanziell lukrativer gewesen wäre sich einem politisch Lager zuzuschlagen. Unabhängig, kritisch und eine Qualität im Denken und Schreiben, dies war Camus Vorstellung von Journalismus. Wie nah oder fern die neue freie Presse in Frankreich dieser Vorstellung kam, kann im Artikel „Kritik der neuen Presse“ (S. 40) nachgelesen werden.

Ein weiteres Thema das Camus beschäftigte, war die soziale und politische Situation in seinem Geburtsland Algerien und die französische Kolonialpolitik im Gesamten. Bereits im Oktober 1944 äußerte er sich kritisch zur französischen Kolonialpolitik und fordert Gerechtigkeit und Mitbestimmung für die algerischen Bevölkerung; siehe „Kritik der Kolonialpolitik“ (S. 188).

Knapp nach Kriegsende reiste Camus selbst im Mai 1945 nach Algerien, er besuchte seine Mutter und fuhr durchs Land, um so aus erster Hand über die aktuelle Lage zu erfahren und darüber berichten zu können. Diese kleine Artikelserie, die von der Krise und Hungersnot in Algerien berichtet ist im Band II, S. 269 ff. nachzulesen.

Im September 1945 beendet Camus aus privaten Gründen seine Arbeit als Leitartikler der Combat. Unzufrieden mit der politischen Ausrichtung und den oft widersprüchlichen Aussagen in den nun folgenden Leitartikel, zieht sich Camus im November schließlich ganz aus der redaktionellen Tätigkeit zurück. 1946 veröffentlicht er noch die achtteilige Artikelserie „Weder Opfer noch Henker“, in denen er über die aktuelle politische Lage, die durch die beginnenden Ost-West-Konfrontation und dem ersten Schauer des kalten Krieg gekennzeichnet ist, nachdenkt und zu erfassen versucht.

Kurzer Exkurs: Weder Opfer noch Henker

Es stimmt also: Von der sehr allgemeinen Angst vor einem Krieg, den jedermann vorbereitet, bis zur ganz spezifischen Angst vor den tödlichen Ideologien leben wir im Terror. Wir leben im Terror, weil das Überzeugen nicht mehr möglich ist, weil der Mensch der Geschichte gänzlich ausgeliefert worden ist und sich nicht mehr jener Seite seiner selbst zuwenden kann, die ebenso wahr ist wie die historische Seite und der er in der Schönheit der Welt und ihrer Gesichter begegnet; weil wir in einer Welt der Abstraktionen leben, einer Welt der Büros und der Maschinen, der absoluten Ideen und des undifferenzierten Messianismus. Wir ersticken zwischen den Leuten, die unbedingt Recht zu haben glauben, sei dies mit ihren Maschinen oder mit ihren Ideen. Und für alle, die nur im Dialog und in der Freundschaft unter den Menschen leben können, bedeutet dieses Schweigen das Ende der Welt.“ (S. 164)

In dieser Artikelserie formuliert Camus jenen Grundgedanken den er später im Buch „Der Mensch in der Revolte“ ausarbeiten wird. Es handelt sich um die Frage ob eine Ideologie oder ein Entwicklungsgesetz der Geschichte den Mord an einem Menschen rechtfertigen kann. Camus gibt in dieser Serie seine Entscheidung bekannt. Er entscheidet sich für das Wort und gegen die Gewalt, auch wenn diese im Auftrag einer noch so fortschrittlichen und emanzipatorischen Ideologie ausgeübt wird.

Ja, was man heute bekämpfen muss, ist die Angst und das Schweigen und die damit verbundene Entzweiung der Gemüter und der Herzen. Was man verteidigen muss, sind der Dialog und die weltweite Kommunikation zwischen den Menschen. Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Lüge sind Geißeln, welche diese Kommunikation unterbrechen und diesen Dialog verstummen lassen. Deshalb müssen wir sie ablehnen. Aber diese Geißeln bilden heute den eigentlichen Gegenstand der Geschichte, und mithin betrachten viele Menschen sie als notwendige Übel. Es stimmt zudem, dass wir der Geschichte nicht entkommen können, da wir ja bis zum Hals drin stecken. Aber man kann danach streben, in der Geschichte zu kämpfen, um jene Seite des Menschen zu bewahren, die ihr nicht angehört. Das ist alles, was ich sagen wollte.“ (S. 184)

Camus bleibt in seinen Ausführungen jedoch nicht nur im Bereich des philosophischen Denkens, sondern analysiert die Nachkriegsordnung, die Rolle der Demokratie, der Nationalstaaten und der UNO. Es wird gut sichtbar, wie er als engagierter Intellektueller seine Rolle wahr nimmt und versucht sich diesbezüglich eine Position zu erarbeiten. Ein politische Haltung für die er später auch von vielen Linken (Intellektuellen) kritisiert und angefeindet wurde, da er sich nicht unter den Reihen der Verteidiger des Sowjetsozialismus finden ließ. Seine Sympathien galten mehr den Kriegsdienstverweigerer oder den spanischen Anarchisten. Über seine Sympathien zum libertären Denken lässt sich sowohl im Schlussteil von Mensch in der Revolte, als auch in anderen Journalistischen arbeiten einiges finden. Lou Marin der Herausgeber, des bereits erwähnten Laika Bands, Albert Camus – Libertäre Schriften (1948-1960), hat einiges dazu beigetragen, dass diese Facette im Denken und politischen Engagement Camus mehr Beachtung erfährt.

Combats Ende

Ein Jahr später kam Camus noch einmal zur Zeitung zurück und übernahm de facto die Rolle des Herausgebers. Innerhalb der Combat gab es zu dieser Zeit einen Konflikt über die politische Haltung in der Frage: Unabhängig bleiben oder de Gaulle unterstützen? Während langjährige Redaktionskollegen wie Pascal Pia, Albert Oliver und andere für eine Positionierung auf Seiten de Gaulles waren, standen Camus und ein Großteil des Redaktionskollektivs für die Unabhängigkeit. Nachzulesen im Artikel, „Die Wahl“ vom 22.4.47 (S. 202). Dieser Konflikt führte zum Ende der Combat der Résistance. Camus blieb der neuen Combat zwar noch verbunden, schrieb aber kaum mehr Artikel. 1948 übernahm Victor Fay die Leitung der Zeitung jedoch konnte er nicht verhindern, dass die Bedeutung und Auflage von Combat immer steter abnahm. 1950 war es Henri Smadja, ein aus Algerien stammender Arzt und wohlhabender Geschäftsmann, der sich der Zeitung annahm, sowohl als Herausgeber, als auch als ihr Finanzier. Kurz nach zu seinem Selbstmord 1974 war die Zeitung nicht mehr zu halten und wurde 30 Jahre nach der ersten Ausgabe, schließlich eingestellt.

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